Kirwa-G'schichten

Kirwa - was ist das?
Ein Dorf verfällt in Ausnahmezustand - "In Traßlberg is Kirwa, mei liaba, mei liaba"
Da packt der Kirwabursch sein Kirwamoidl, legt ihr sanft den Arm um die Hüfte, rollt ein wenig mit den Augen und raunzt ihr mit Oberpfälzer Charme ins Ohr: "Komm, mir genga etz in die Bar". Und schon wäre eigentlich eine ganze Kirwa in wenigen Worten charakterisiert. Eigentlich.
Traßlberg ist anders und noch viel mehr. Sagen zumindest die Kirwaburschen. Natürlich glaubt man ihnen, wie sie da so höchst enthusiastisch vor einem sitzen, mit einer Hand am Maßkrug und der anderen wild gestikulierend: Die Jungs erklären etwas von Dreher und Zwiefachen, Gesangsproben und der "gesunden" Rivalität zwischen den Poppenrichtern und Traßlbergern.
Ein wilder Haufen, den neben seiner Heimatliebe noch eines verbindet: Der Hang zur Tradition. Das sind keine alten Männer, die Stammtischparolen durch die Gegend plärren, sondern ganz Junge zwischen 17 und 30 Jahren.
Suche nach Kirwamoidl
Mit der Tradition da kennen sich die Burschen erstaunlich gut aus. Im Detail erzählen sie, wer an welchem Tag etwas zu tun hat. Aber halt: Alles beginnt mit der Suche nach einem Kirwamoidl - das ist wahrlich nicht so einfach wie es sich anhört. Es gibt nämlich eine Deadline, das ist der 1. Juli. Patentrezepte, wie die richtige Frau für's Austanzen zu finden ist, haben die Traßlberger nicht zu bieten.
Christian Englhard und Christian Beck, die beiden müssen es wissen, schließlich feierten sie heuer an der Kirwa ihr zehnjähriges Jubiläum, bringen ihre Anstrengungen kurz und bündig auf den Punkt: "Entweder schaut man auf anderen Kirwan, oder man nimmt die eigene Freundin." Das ist doch schon mal was. Doch da liegt oft das Problem, denn nicht jede Liebesbeziehung verträgt vier Tage extremes Saufen und nicht jeder holden Weiblichkeit liegen Dirndl und Volkstanz. "Kurze Röcke gefallen uns übrigens besser", merkt Kirwabursch Tom Graml an, "aber die Mädels wollen das meistens nicht."
Baum noch nie geklaut
Die Vorbereitungen für die Gaudi beginnen in Traßlberg schon am Montag vor der Kirwa. Am Gasthaus "Kastaniengarten" (früher Schwab) wird das Musikpodium aufgebaut. Am Freitag fahren die Burschen in den Wald und suchen einen passenden Baum aus - dann geht erst die richtige Arbeit los. Neben den Kränzen binden, das übrigens die Frauen übernehmen, steht das Herrichten der "Schwalben", Abhobeln der Rinde und Schmücken des Baumes mit Lichtern und Bändern im Vordergrund. Und vor allem eines ist ganz wichtig: "Wir müssen Obacht geben, dass ihn keiner klaut", sagt Tom, "aber das ist bei uns noch nie vorgekommen."
Urlaub davor und danach
Das ganze Dorf stehe extrem hinter der Kirwa, betonen die Burschen. Nachbarn leihen Traktoren her und akzeptieren die Musik bis in die frühen Morgenstunden. Kirwawochenende ist eben Ausnahmezustand. Wer mittendrin mitmischt, wie die Tanzpaare, der nimmt schon mal eine Woche vorher und zwei Wochen danach Urlaub. Das braucht man! Kondition für's Tanzen, für's Feiern und für diverse Bar-Tests - und das vier Tage und Nächte am Stück.
Während der Sonntag vor allem im Zeichen des Brauchtums steht, mit Gottesdienst und offiziellem Austanz, ist der Montag laut Kirwaburschen der "eigentliche Haupttag". "Da ist die Hölle los", erklären sie. In der Tat: Es ist Dienstagfrüh, 2 Uhr. Alle jungen Leute drängen sich in die Bar, die Musikanten haben längst aufgehört zu spielen. Die Stimmung kommt aus den Lautsprechern und von den Besuchern selbst. Ganz selbstverständlich schwingen sie ihre Hüften geschmückt mit Rüschenröcken und Lederhosen - natürlich nicht mehr ganz nüchtern, aber um diese Uhrzeit kein Wunder. Christian Beck hat als einziger einen Hut auf dem Kopf. Das ist ein Zeichen dafür, dass er Oberkirwabursch geworden ist. Jetzt muss er im kommenden Jahr doch noch einmal teilnehmen, obwohl er seine Kirwaschuhe an den Baum nageln wollte. Das ist ein Ritual für alle Männer, die aus der Gruppe aussteigen. Wer nicht lacht, oder wenigstens lächelt, wird schnell mitgerissen von dem Sog der allgemeinen Heiterkeit. Jack-Cola, Wodka-Lemon oder Jägermeister helfen da ungemein.
Hier und da ein Kirwabussi
Plötzlich wird alles mit Kirwa vorne dran bezeichnet: Kirwazigaretten, Kirwaschnaps und vor allem Kirwabussis - wer kann da schon nein sagen? Alle haben sich lieb und wissen davon morgen sowieso nichts mehr. Oder wie die Kirwapaare singen: "In Traßlberch is Kirwa, mei liaba, mei liaba" und "wenn das so weitergeht, bis morgen früh, ja früh, stehn wir im Alkohol, bis an die Knie". Ausnahmezustand, richtig!
12.09.02, Andrea Roßner
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